Eindrücke von der 50-Jahr-Feier von pro mente Tirol
„Das Segelschiff der Sozialpsychiatrie ist auf einem guten Weg“
Zum 50-jährigen Bestehen von pro mente Tirol kamen rund 700 Teilnehmer:innen aus Fachpraxis, Politik und Selbsthilfe in Innsbruck zusammen. Die Veranstaltung stand ganz im Zeichen von Dank, Rückblick und Zukunftsvisionen – getragen von musikalischen Beiträgen und einer professionellen Moderation durch Mag.a Sonja Kato.
„Man spürte in jedem Moment, dass dieses Jubiläum nicht nur eine Rückschau, sondern auch ein Aufbruch war“, beschreibt Marion Wenger, Mitglied von IDEE Austria, ihre Eindrücke. Besonders prägend sei die Keynote von Gianfranco Zuaboni aus Bern gewesen, der mit Witz, Wissen und Tiefe über Recovery sprach und das Publikum begeisterte. „Er hat es geschafft, uns daran zu erinnern, dass Recovery mehr als ein Konzept ist – es ist eine Haltung.“
Ein zentrales Thema der Tagung war die Stigmatisierung als ‚zweite Wunde‘ psychischer Erkrankungen. Historische Perspektiven, aber auch neue Programme zur Selbststigmatisierungsreduktion – wie das peergeleitete Gruppenangebot IWS – standen im Fokus. „Es fiel auf, dass der aktuelle Bedarfs- und Entwicklungsplan Psychosoziale Versorgung Tirol 2025–2035 diesem Thema trotz 99 Empfehlungen nur begrenzt Raum gibt“, so die kritische Beobachtung.
Besonders positiv hervorgehoben wurde das System der Klient:innen-Sprecher:innen, das pro mente Tirol als Form institutionalisierter Mitbestimmung eingeführt hat. Ziel sei es, in allen Einrichtungen Sprecher:innen zu wählen und diese aktiv in Entwicklungsprozesse einzubinden. Begleitet wird dieser Prozess vom EU-Projekt RESPONSIVE, koordiniert durch das Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck. „Das ist ein mutiger Schritt in Richtung echter Beteiligung“, betonte Marion Wenger, „und ein Modell, das auch für andere Bundesländer Vorbildcharakter haben könnte.“
Während der Tagung wurde zudem auf Wunsch der Teilnehmer:innen ein „Ruhe-Raum“ eingerichtet – ein Ort der Reizreduktion und Selbstfürsorge, der große Wertschätzung erfuhr.
Am Nachmittag folgten fünf parallele Workshops, die Raum für Vertiefung und Austausch boten. Besonders beeindruckend war das World Café Recovery, in dem Genesungsbegleiter:innen und Betroffene persönliche Geschichten und Erfahrungen teilten. „Diese authentischen Stimmen sind der eigentliche Kern dessen, worum es in der Recovery-Bewegung geht“, so der Bericht.
Im Workshop „Sozialpsychiatrie – Aufbruch und Bewegung“ standen die 99 Empfehlungen des Tiroler Entwicklungsplans im Zentrum. Diskutiert wurden die Konzepte der Salutogenese und des Kohärenzgefühls nach Antonovsky, historische Schlaglichter der Sozialpsychiatrie sowie Grundlagen psychosozialer Therapieansätze. Immer wieder wurde betont, dass Erfahrungswissen von Betroffenen und Angehörigen eine zentrale Grundlage für Planung und Weiterentwicklung bleiben müsse – ganz im Sinne des europäischen Pakts für Gesundheit und Wohlbefinden (2008).
„Das Segelschiff der Sozialpsychiatrie ist auf einem guten Weg“, fasste ein Teilnehmer sinnbildlich zusammen, „doch wir müssen weiter darauf achten, dass die Segel richtig gesetzt bleiben.“
Positiv, wenn auch ausbaufähig, wurde die Einrichtung von Planstellen für Genesungsbegleiter:innen bewertet. Derzeit ist mit Daniel Unterlechner erst eine halbe Stelle besetzt – „ein Anfang, aber noch keine nachhaltige Struktur“.
Fazit:
Die Fachtagung von pro mente Tirol zeigte eindrucksvoll, wie lebendig die Haltung von Recovery in der psychosozialen Arbeit wirkt. Begegnungen, inspirierende Vorträge und persönliche Erfahrungen machten deutlich, dass Selbstbestimmung, Empowerment, Peer-Support, Inklusion und gemeinsames menschliches Tun keine Schlagworte sind – sondern Zukunftsthemen, die weiter wachsen müssen.
„Diese Tagung war mehr als ein Jubiläum“, resümiert Marion Wenger, „sie war ein Zeichen dafür, dass gelebtes Recovery bewegt – in den Köpfen wie in den Herzen.“